Meine Bloggerkollegin Sylvia hat zu einer wunderbaren Blogparade aufgerufen, zu der ich natürlich als gebürtiger “Ossi” auch meinen Senf (übrigens der Gute aus Bautzen!) dazugeben muss. Den Aufruf zur Blogparade und die Erklärung, wie du daran teilnehmen kannst, findest du hier und Sylvia freut sich sicher über ganz viele Blogartikel dazu.
Wie viel DDR steckt nach über 35 Jahren Einheit noch in mir? Verdammt viel. Und was das genau ist, das erfährst du, wenn du hier weiterliest.
Das Ende der DDR und ich war 13
Ich denke jeder, der den 9. November 1989 irgendwie bewusst miterlebt hat, weiß noch, wo er sich an dem Abend befand. Ich saß im Wohnzimmer in unserer Wohnung in Pößneck. Pößneck ist die kleine Stadt, die durch zwei Familien in den 80ern Jahren Berühmtheit erlangte, als besagte Familien mit einem Heißluftballon in den Westen flogen. Im RIAS Berlin, ein damaliger Radiosender lief dann regelmäßig das Lied für Erich (Honecker): “Kauf dir einen bunten Luftballon”.
Ich saß an besagtem Abend in unserem Wohnzimmer. Im Fernsehen kamen Nachrichten. Aber hey, ich war 13. Es war ein Monat vor meinem 14. Geburtstag und die Nachrichten interessierten mich absolut nicht. Ich hatte viel mehr damit zu tun, dass mein kleiner Bruder sich langsam bettfertig machte. Denn meine Eltern waren auf dem Geburtstag von Olga, eine Freundin meiner Eltern. Mit einem Mal standen sie im Wohnzimmer, völlig aufgeregt und mussten unbedingt die Nachrichten schauen. Da kam er, der Satz: “Das tritt…nach meiner Kenntnis…ist das sofort.” Und da war sie auf die Mauer. Und Familie Patzt saß wenige Stunden später im blauen Wartburg “blauer Klaus” auf dem Weg in den Westen.
Denn Fakt war: Meine Eltern hatten die Ausreise schon lang beantragt. Aber wenn man sich das vorher jetzt auch noch anschauen kann…dann nix wie hin und gucken. Vielleicht gefällt es uns ja auch gar nicht, dann bleiben wir im schönen Pößneck.
Lost in Schwabenland
Naja, es hat meinen Eltern gefallen. Und so verließen wir am 27. November 1989 unser altes Leben. In ein fremdes Land. Ausland. Verstanden haben wir die Menschen im Schwobaländle nämlich kaum, über unseren Dialekt schmunzelten nicht nur meine Mitschüler, auch die Lehrer machten sich darüber lustig und gleichzeitig wunderte mich, dass man in der siebten Klasse in Mathematik gerade mal mit dem Bruchrechnen begonnen hatte. Das gelobte Westdeutschland kam mir anfangs ganz schön dumm vor.
Was passiert, wenn man als 14-Jährige das erste Mal das Wort “Ossi” hört und spürt, dass es nicht nett gemeint ist? Was macht es mit einem, wenn sich andere über die eigene Aussprache lustig machen. Und wie fühlt man sich, wenn einem andere erklären wollen, dass es “das Teller” und “der Butter” heißt und einen als Streber beschimpfen, nur weil man in Mathe ständig Einsen bekommt, ohne lernen zu müssen? Wie ist das als Jugendliche, wenn der Lehrer einen vor der ganzen Klasse bittet, ihm Trabi-Witze zu erzählen und er verspricht, dass es dafür dann auch eine gute Note gibt? Es waren rückblickend keine schönen Wochen. Aber alles ist für irgendetwas gut. Ich lernte, mich zu schützen. Jeder hat eine Schwachstelle, die ihn verletzt, wenn man sie öffentlich breit tritt. Und ich erkannte diese Schwachstelle bei meinem Gegenüber zunehmend schneller. Bald merkte ich, dass ich schlagfertig war und dass ich die halbstarken Jungs und Mädels aus meiner Schulklasse in Sekundenschnelle genauso bloß stellen konnte. Die Hänseleien hörten auf. Survival of the fittest – nur anders. Irgendwie.
Meine verlorene Sprache
Aber es passierte noch etwas. Ich verlor meine Sprache. Meinen thüringischen Dialekt. Das ist etwas, was mich ein bisschen traurig macht. Wenn ich heute in Thüringen zu Besuch bin, merke ich, wie ich meinen Kindheitsdialekt sehr schnell wieder spreche. Und das ist ein komisches Gefühl, wenn man selbst merkt, dass man gerade anders spricht als sonst. Dabei ist das “Andere” ja eigentlich “Meins”. Viele finden das thüringische und sächsische ja nicht gerade sehr sexy. Die wenigsten können die beiden Dialekte überhaupt auseinanderhalten. Ich habe mir sehr schnell damals meinen Dialekt abgewöhnt. Ich denke, als Jugendliche war das für mich auch eine Art Selbstschutz. Wenn ich nicht mehr so “komisch” spreche, dann lacht mich auch niemand mehr deswegen aus. Rückblickend betrachtet haben es die Schwaben ja gerade nötig, sich über anderer Leute Dialekt lustig zu machen. Aber verloren ist der Dialekt in mir nicht. Denn sobald ich mich mit jemandem streite, kommt meine ureigenste Sprache zu Vorschein. So berichten das zumindest andere, denn ich selbst höre das dann nicht. 😊
Bin ich eine Feministin?
Ich denke, als Frau bleibt es einfach nicht aus, dass man frauenfeindliche Kommentare abbekommt. Vor allem, wenn man als Frau auch noch Karriere macht und ab einer gewissen Stufe auf der Leiter nur noch von Männern umgeben ist. Dabei war es für mich nie seltsam oder außergewöhnlich, dass ich den Weg geradeaus nach oben gewählt hatte. In unserer Familie haben die Frauen immer gearbeitet und es war auch ganz normal, dass die Frau mehr Geld nach Hause brachte, als der Mann. Jahrelanges Hausfrauenleben kam nicht in die Tüte. Umso mehr haute es mich um, als ich in meinem Arbeitsleben dann mit Sätzen konfrontiert wurde, die zum Beispiel lauteten: “Also ich verstehe nicht, warum Sie sich hier so anstrengen, Karriere zu machen. Spätestens wenn die Kinder kommen, sind Sie doch eh zu Hause.” Oder mein Favorit: “Als Frau sollte man sich um den Mann zu Hause kümmern und ihm nicht noch den Arbeitsplatz wegnehmen!” Fällt dir da noch was ein? Mir schon! Frühkindliche Prägung. Als DDR-Kind ist es einfach völlig normal, dass ich als Frau arbeiten gehe und Karriere mache und trotzdem noch Frau bleibe.
Ossis unter sich
Ein Phänomen beobachte ich tatsächlich in all den Jahren immer wieder. Viele meiner Freunde haben ihre Wurzeln im Osten. Nicht, dass ich die “Ossis” suche, nein, das ergibt sich irgendwie. Und selbst, wenn sie das breiteste Schwäbisch sprechen, so stellt sich manchmal raus, dass sie im Osten geboren wurden und ihre Eltern in den frühen 80igern oder späten 70igern geflüchtet sind. Und das scheint nicht nur mir so zu gehen. Erst kürzlich erzählte meine Kollegin, gebürtig in Ostdeutschland geboren, von ihrem Urlaub: “Und dann war da eine kleine Gruppe, wir haben uns sofort super verstanden. Klar, wir waren ja auch alle Ossis.”
Als ich vor 10 Jahren meinen heutigen Mann kennenlernte, war meine Mutter schon fast verzweifelt. Denn er wohnte 5 Autostunden von mir entfernt in Dresden. Ich höre noch, wie sie zu mir sagte: “Gibt es denn in dem Ulm keinen Mann für dich?” Am Ende stellte sich heraus, dass mein jetziger Schwiegervater in unserer damaligen Bezirkshauptstadt Gera geboren wurde und mein Mann als Kind dort Urlaub machte, wo ich aufgewachsen bin. Na, wenn das kein Schicksal ist.
Fazit
Nach über 35 Jahren Einheit bin ich eine Mischung aus Ost und West, aus Vergangenheit und Gegenwart. Ich habe gelernt, das Beste aus “beiden Welten” zu schätzen und zu lieben. Die DDR war ein wichtiger Teil meines Lebens und hat mich geprägt. Und ich freue mich heute noch, wie damals als kleines Kind, wenn meine Mutter extra für meinen Bruder und mich die DDR-rote-Grütze mit Vanillesoße als Nachtisch serviert. Es schmeckt nach Chemie und es steckt so viel Kindheit drin. 😊
Dieser Beitrag hat 7 Kommentare
Liebe Susanne, herzlichen Dank für deinen wunderbaren Betrag. Es ist total verrückt, obwohl unsere Geschichte sich doch um einiges unterscheidet – deine Eltern wanderten aus, ich blieb in Leipzig, gibt es doch Parallelen. Die Dialektscham haben wohl viele von uns erlebt. Spannend finde ich deine Beschreibung des Schulwechsels und deine Lernerfahrung, dich über das Erkennen und Benennen der Schwachpunkte anderer schützen zu müssen und zu können. Das sich selbst ein Lehrer am kleinmachen beteiligt hat, ist ziemlich heftig. Deiner Beschreibung bezüglich des Selbstverständnisses von Frauen in der DDR – arbeiten gehen und Karriere machen trotz Kinder und sich dabei trotzdem als Frau definieren – teile ich. Das hat auch mich geprägt und das habe ich auch an meine Tochter weitergegeben. Ich darf mein Leben so gestalten, wie ich das will, so wie das jeder Mann für sich in Anspruch nimmt.
Trotz vieler Anpassungsleistungen, die wir im „Ausland“ (darüber musste ich lachen) erbracht haben, ist es doch gelungen bewahrenswertes in uns zu bewahren und von all dem Neuen, das zu integrieren, was zu uns passt. Auch das ist in jeder von uns unterschiedlich, der Prozess sicher ähnlich. Das „Ausland“ haben wir über diesen Weg auch zu unserem Land gemacht. Heute darüber zu berichten, halte ich für einen wesentlichen Aspekt der Integration. Denn es gibt sie, diese unterschiedlichen Erfahrungen und somit schreiben wir unsere Erfahrungen in die Biographie dieses Landes. Danke, liebe Susanne, fürs Mitmachen und Mitnehmen. Liebe Grüße Sylvia
Liebe Sylvia, herzlichen Dank an dich für deinen schönen Kommentar! Schön, dich übers Bloggen gefunden zu haben. Alles Liebe und ganz viel Erfolg für deine wunderbare Blogparade! ~Susanne
Liebe Susanne es war sehr bewegend die „ Wendezeit“ aus Deiner Perspektive zu lesen.
Ja es war für uns alle eine sehr anstrengende Zeit und ich bin immer wieder stolz wie gut Du und Dein Bruder Euch durchgesetzt habt und es im Schwabenländle zu was gebracht habt.
Das Thema Frauen und Karriere im „Westen“ kenne ich nur zu gut, als erste Vertriebsleiterin einer großen Versicherung könnte ich vieles dazu beitragen. 34 Jahre DDR, 31 Jahre Bayern und Ländle und jetzt wieder seit 4 Jahren in Thüringen- ich bin weder Ossi noch Wessi – ich mag diese beiden Wörter einfach nicht.
Thüringer sind die Schwaben des Osten vielleicht bin ich das.
Jedenfalls freue ich mich riesig auf Euch und bis zur 950 Jahrfeier in Knau alles Liebe von Deiner Mama♥️
Liebe Mama, es freut mich immer so sehr, wenn ich dich unter meinen Blogartikeln finde 🙂
Ich mag „Ossi“ und „Wessi“ auch nicht, aber ich freue mich jetzt auf ein Wochenende bei meinen Lieblings-Ossis -> den Schwaben des Ostens. Bis bald. ~Susanne
Liebe Susanne,
danke für diesen tollen Artikel und den Einblick in deine Vergangenheit.
Spannend, wie jede:r von uns diese Zeit anders erlebt hat.
Habe auch meinen Senf (den fand ich gut 😉 ) dazugegeben – siehe Sylvias Website.
lg von den Lofoten
Liebe Verena, herzliche Grüße in mein zweites Lieblingsland und zu den Lofoten. Werde gleich mal in die Blogparade rüberhüpfen und deinen Beitrag lesen. Habe heute ein bisschen Zeit auf der Fahrt in die Heimat 🙂
Alles Liebe, Susanne
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